FARBEN- UND FORMENLEHRE

MALERISCHE FORSCHUNG

Die 33 Skizzenbücher von Beppe Assenza geben Einblicke in das forschende Schaffen seiner letzten Lebensperiode von 1970 bis 1985. In diesen Jahren war er als Leiter einer Malschule am Goetheanum in Dornach tätig.

Die Skizzenbücher beinhalten drei Aspekte seines Schaffens:

  1. eigene Forschungen
  2. die Vorbereitung von Farbstudien für den Unterricht
  3. kleine Bilder

Im folgenden Text wird zu den Farbstudien Bezug genommen, welche er für Studentinnen und Studenten der 4-jährigen Ausbildung seiner Malschule entwickelte.

Um die Wahrnehmungsfähigkeiten im phänomenologischen Sinne zu schulen, begann die Ausbildung mit dem 6 teiligen Farbenkreis von J. W. v. Goethe und dem 12 teiligen Farbenkreis von R. Steiner, an denen Assenza die spezifischen Qualitäten jeder einzelnen Farbe, sowie ihr Zusammenwirken mit anderen Farben erforscht hatte. Durch die Aquarell-Technik war es möglich, sehr feine Farbabstufungen in durchlässiger Art zu realisieren und in Schichten die Farbflächen so übereinander zu malen, dass ein zeitlich großer Erfahrungsraum für das Erleben und Vertiefen gewonnen werden konnte.
Dieser Vorgehensweise liegt ein wechselseitiges Erleben zugrunde, indem die Empfindung durch den Eindruck der gemalten Farbe von aussen nach innen wirkt, während sich gleichzeitig das innerlich erlebte Farb-Empfinden im Bild ausdrückte. Dieser gleichsam atmende Arbeitsprozess wurde für das Bildgeschehen selbst charakteristisch und zeigte sich in der offen gehaltenen, atmosphärischen Bildfläche. Die eigenen Gestaltungsimpulse verblieben im Empfangen des Farbeindrucks zunächst in einer vollkommenen Zurückhaltung, konnten aber mit zunehmender Übung immer mehr zur Geltung kommen. Sie blieben immer mit dem Farbeindruck verbunden, formten sich also vom Erleben der Farbe her.

Gelb, Blau und Rot
Als Maler war Assenza natürlich auch an der Frage interessiert, wie Form Wesensausdruck der Farbe sein kann. Jede Farbe wirkt sich in einem bestimmten Formduktus aus, der prozessual entsteht und stilistisch eindeutig gestaltet werden kann. Um den Zusammenhang von Farbe und Form zu begreifen, verlief der gestalterische Prozess beweglich und offen, sodass die Formen sich allmählich konkretisieren konnten. Diese gestalterische Prozessorientierung enthielt die der jeweiligen Farbe eigentümliche Gesetzmäßigkeit, die als Eigengestaltungskraft beispielsweise an den drei Grundfarben wie folgt zu erfahren war.
Die Farbe Gelb ist sowohl für Goethe als auch Steiner ganz mit dem Licht verbunden. So, wie das Licht von einer Lichtquelle ausstrahlt und in der Peripherie blasser wird, verhält sich das Gelb ausstrahlend. Polar dazu steht das Blau, das als Farbe der Finsternis am nächsten ist. Das Blaue zieht unsere Seele an, es hat etwas Umhüllendes. Wir empfinden es als ein inneres Licht, welches die Finsternis aufhellt. Blau ist dem Wesen nach einstrahlend. Das Rot entsteht bei Goethe durch die Steigerung bzw. Abdunkelung von Gelb. Steiner beschreibt seine Wirkung als eine gleichmäßig strahlende.
Vor diesem Hintergrund entwickelte Beppe Assenza seine eigenen, von der Farbe ausgehenden Gestaltungen so, dass die gesetzmäßige Eigentümlichkeit jeder Farbe in der künstlerischen Umsetzung freiheitlich zum Ausdruck kommen konnte. Damit vollzog er stets eine Verbindung zwischen der Universalität der Farbgesetze, wie sie den Farbenlehren zu Grunde liegt und der individuellen schöpferischen Freiheit. Im Unterschied zu Wassily Kandinsky, der den drei Grundfarben Gelb, Blau und Rot die geometrischen Grundformen Dreieck, Quadrat und Kreis zugeordnet hat, ging es Beppe Assenza um eine jeweils von neuem zu entfaltende gestalterische Dynamik, die im Anschauen ganz unmittelbar in ihrer Wirkung erfahrbar wird. In dieser Wirksamkeit der Farbe spricht sich ihr Wesen aus.

Farbbewegung – Formbewegung
Für Beppe Assenza war der gesamte Malprozess ein Akt der Gestaltungskräfte von Farbe und Form: Farbe als das, was von sich aus eine Gestaltungstendenz besitzt und Form als das, was der Künstler gestalterisch erarbeitet. In seinen Skizzenbüchern gibt es viele Beispiele für diese beiden gegensätzlichen Entwicklungsrichtungen innerhalb jeder Bildentstehung: 1. Von der Farbe zur Form 2. Von der Form zur Farbe.
Für die Entstehung eines künstlerischen Werks sind natürlich nicht nur die malerischen Mittel wie Farbe, Form, Hell-Dunkel, Material etc. notwendig; sondern ganz besonders kommt es auf eine starke künstlerische Persönlichkeit an, die für die Farben empfänglich ist und mit schöpferischer Phantasie, Mut, Ausdruckskraft und Gestaltungswille arbeitet. Die Skizzenbücher von Beppe Assenza geben davon reichhaltiges Zeugnis.

Hans Georg Aenis
Basel, 1. Mai 2021

Violettstudie B. Cron
Beispiel einer Farbstudie, wie sie in der Assenza-Malschule unterrichtet wurde.

Kurzdokumentation
Antonia Moro, Italien

Hans Georg Aenis
„Studie zu den Grundfarben, ausgehend von Gelb und Blau“

Hans Georg Aenis
„Studie zu den Grundfarben Rot und Blau“

Jens Kilian
Freie Akademie für Malerei, Düsseldorf